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1. Selbstkontakt - Eigenresonanz

  • matthias beyerle
  • 2. Juni
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 1 Tag

Der unbewegte Sprung


Dialog: Der unbewegte Sprung – Frosch und Wanderer



Szene: Ein Waldrand, früh am Morgen. Nebel liegt über dem Boden. Ein Wanderer tritt aus dem Unterholz. Er will weiter, schaut nur kurz in die Landschaft. Dann sieht er einen Frosch, der mitten auf dem Weg sitzt, unbeweglich.


Wanderer: Der Tag hat noch nicht gesprochen. Vielleicht ist es besser, wenn ich einfach weitergehe.

Frosch: Es ist erstaunlich, wie viele gehen, bevor sie ankommen. Bist du heute schon gesprungen?

Wanderer: Gesprungen? Ich... nein. Ich bin nur unterwegs.

Frosch: Unterwegs sein ist leicht. Bleiben ist schwer. Und der Sprung, von dem ich spreche, ist nicht aus dem Stand. Es ist ein standhafter Sprung. Einer, der nicht ausweicht, sondern innehält. Einer, der nicht weiss, wo er landet und trotzdem springt.

Wanderer: Und was meinst du mit „springen“, wenn ich gar nichts tue?

Frosch: Der Sprung beginnt nicht im Bein. Er beginnt im Boden unter dir. In dem stillen Moment, wo du aufhörst, dich zu bewegen, aber innerlich berührt wirst. Es ist ein diagonaler Sprung. Nicht nach oben, nicht zur Seite, sondern durch dich hindurch. Der Boden ist nicht einfach Unterlage. Er ist Energie. Eine Kraft, die dich trägt, wenn du ihr Gewicht gibst.

Wanderer: Da fehlt mir die Ruhe und ins Ungewisse springe ich schon mal gar nicht.

Frosch: Der standhafte Sprung ist kein Kunststück. Er ist eine Verlagerung des Gewichts: von der Eile ins Bleiben. Vom Wollen ins Lauschen. Vom Tun ins Sein.


Der Wanderer bleibt stehen. Der Frosch bewegt sich nicht.


Wanderer: Wenn der Sprung also keine Leistung ist, sondern ein Innenhalten, wie kann ich wissen, ob ich wirklich unbewegt springe oder doch nur wieder etwas erreichen will?

Frosch: Wenn du dich das fragst, bist du vielleicht schon mitten in der Bewegung. Die, die keiner sieht. Die, die etwas in dir verändert, ohne dass du gehst. Das ist der unbewegte Sprung.

Wanderer: Und wenn ich den Boden nicht spüre? Wenn ich dabei nicht empfinde?

Frosch: Dann bleib. Nicht als Flucht als Standpunkt. Sei schwer genug, dass du nicht gleich vom nächsten Gedanken fortgetragen wirst. Spür den Ort, nicht den Plan. Und erinnere dich: Der Boden trägt dich nicht mechanisch. Er trägt dich, wenn du ihn innerlich anerkennst. Als das, was dich aufrichtet, nicht was dich festhält.

Wanderer: Ich spüre oft nur Spannung. Ich verliere mich im Alltag und im Berufsleben.

Frosch: Spannung ist ein Zeichen. Nicht das Ende. Und selbst wenn du den Grund nicht fühlst, er trägt dich. Immer. Wie das Wasser, das den Stein aufnimmt, ohne dass es fragt, ob er schwer ist.

Wanderer: Also ist Sicherheit kein Zustand?

Frosch: Sicherheit ist kein Besitz. Sie ist Beziehung. Ein stiller Dialog mit der Welt. Sie fragt nicht nach Zertifikaten. Sie fragt, ob du da bist, mit allem. Auch mit dem, was in dir zittert.

Wanderer: Wenn Sicherheit kein fester Ort ist, sondern eine Beziehung, wie kann ich lernen, in Beziehung zu bleiben, wenn es in mir selbst nicht mal funktioniert? Wenn mit die Beziehung zu mir selbst fehlt?

Frosch: Funktionieren ist wie ein Zelt ohne Heringe. Praktisch, bis der Wind kommt. Nur das, was sich verwurzeln darf, hält stand. Und weiss, wann es springen muss.

Wanderer:(verstehend, ruhig): Also bedeutet das, wenn ich aufhöre, nur zu funktionieren und mich verwurzle, indem ich mir erlaube, da zu sein, dann finde innere Resonanz, Eigenkontakt und spüre, wann es wirklich Zeit ist zu springen? Ich bin da. Ich atme. Und ich darf sein?

Frosch: Und das ist der Anfang. Vielleicht auch das Ziel. Du hast den Sprung schon begonnen, er ist einfach nicht sichtbar. Noch nicht.


Lange Pause. Der Frosch schaut den Wanderer direkt an.


Frosch: Ich frage dich etwas. Nicht weil ich die Antwort brauche. Sondern weil du sie vielleicht hören musst: Was in dir möchte sich rühren, ohne zu müssen? Was darf sich zeigen, ohne gefragt zu werden? Und wer bist du, wenn niemand von dir etwas erwartet?


Stille. Der Wind bewegt die Blätter kaum hörbar.


Frosch: Der standhafte Sprung ist kein Sprung ins Neue. Er ist ein Rücksprung zu dir. Nicht zurück in die Vergangenheit zurück in den Ursprung deiner Gegenwart. Den Moment, wo du nicht mehr zu fliehen brauchst.

Wanderer: Und wenn ich wieder fliehen will?

Frosch: Dann merkst du es wenigstens. Und das ist schon ein Sprung. Einer, der diagonal durch dich geht und dich dort absetzt, wo du schon warst. Nur wacher. Du resonierst mit dir selbst.


Der Frosch steht nun langsam auf. Er blinzelt in die Sonne, die den Nebel durchdringt. Dann dreht er sich um und hüpft ins hohe Gras. Der Wanderer setzt sich auf einen nahen Stein. Er schließt die Augen. Der Nebel hebt sich langsam. Vögel beginnen zu singen. Der Weg ist frei aber der Wanderer bleibt.


Wanderer: Manchmal war da ein Moment, der alles veränderte, ohne dass sich etwas bewegte. Keine grosse Geste. Kein Entschluss. Nur dieses plötzliche, stille "Ja" tief in mir. Es war, als hätte sich etwas in mir neu sortiert, ohne dass ich es beabsichtigt hätte.

Ich habe heute nichts gemacht. Aber viele Dinge geschahen in mir. Ich bin an einem Ort geblieben, an dem ich sonst weggegangen wäre. Ich habe gewartet, ohne Ziel. Und plötzlich begann etwas in mir, das keinen Namen hat, sich zu bewegen. Vielleicht ist das der Anfang von allem.


Der Frosch war längst im hohen Gras verschwunden. Der Morgennebel hatte sich fast vollständig gehoben, und ich spürte, wie sich etwas in mir ebenso langsam klärte.

Was meinte er mit diesem unbewegten Sprung? Ich hatte es zuerst nicht wirklich verstanden. Das, wovon er gesprochen hatte, war keine äussere Handlung gewesen, kein Sprung, den man sehen konnte. Es war etwas anderes, etwas viel Tieferes, das sich in mir selbst vollziehen musste.


Mir wurde bewusst, dass ich so oft unterwegs war, ohne wirklich anzukommen. Ich sprang von einem Gedanken zum nächsten, von einer Aufgabe zur anderen, und glaubte, dass ich damit etwas erreichte. Aber eigentlich wich ich nur aus. Ich wich mir selbst aus, meiner inneren Unruhe, meinen Ängsten, meiner Unsicherheit. Der Frosch hatte mir gezeigt, dass es Mut braucht, um stehenzubleiben. Und noch mehr Mut, mir zu erlauben, wirklich zu sein so, wie ich gerade bin.


Ich atmete tief durch. Und mit jedem Atemzug wurde mir klarer, dass es nicht darum ging, perfekt zu funktionieren oder die Spannung in mir sofort aufzulösen. Es ging darum, diese Spannung zuzulassen, sie auszuhalten, mir selbst zu erlauben, mit all dem da zu sein, was ich in mir trug. Genau hier, auf diesem Stein, in diesem Augenblick, verstand ich: Der unbewegte Sprung bedeutete, dass ich aufhörte, mich vor mir selbst zu verstecken. Dass ich mir erlaubte, zu spüren, was ich spürte, ohne es sofort verändern zu müssen. Und so liess ich die Spannung einfach da sein. Die Enge in meiner Brust, die Unsicherheit, sogar die leise Angst, die sich oft meldete, wenn ich wirklich hinschaute. Ich drängte sie nicht weg. Ich betrachtete sie nur, liess sie zu, gab ihnen Raum zu resonieren.


Langsam spürte ich, wie sich eine innere Achse in mir aufrichtete. Diese Achse fühlte sich nicht starr an, sondern lebendig und wach. Ein Spürbogen, der sich in mir spannte, nicht als Druck, sondern als eine Verbindung zwischen dem, was ich innerlich war, und dem Boden, auf dem ich sass. Der Boden, den ich zuvor nicht wirklich gespürt hatte, schien nun fest und tragend zu sein.


Ich dachte darüber nach, wie oft ich versucht hatte, meine Unsicherheiten durch schnelles Handeln zu überspielen. Wie oft ich automatisch reagiert hatte, nur um den inneren Druck nicht spüren zu müssen. Doch jetzt verstand ich, dass der Druck erst dann unerträglich wird, wenn ich ihn nicht wahrnehmen darf.

„Ich bin hier“, flüsterte ich mir selbst zu, und es war, als würde ich mir selbst erlauben, endlich vollständig da zu sein, mit all dem, was ich empfand, mit all dem, was ich war. „Ich atme. Ich darf sein.“ Ich durfte hier sitzen bleiben, ohne etwas beweisen oder erreichen zu müssen.


Und genau in diesem Moment fühlte ich, wie ich innerlich sprang, nicht fort, sondern tiefer hinein in meine eigene Wahrheit. Es war tatsächlich ein diagonaler Sprung, nicht nach aussen, sondern durch mich hindurch, hinein in einen Raum, in dem ich endlich sein durfte, ohne zu fliehen. Ich War in Eigenresoanz, impathisch zu mir selbst.


Ich wusste, dass dieser Zustand nicht immer leicht zu halten sein würde. Ich würde immer wieder versucht sein, auszubrechen und in alte Muster zurückzufallen. Doch die Begegnung mit dem Frosch hatte etwas in mir geweckt, das ich nicht vergessen konnte: Die Erlaubnis, ganz bei mir zu sein. Die Freiheit, mich selbst auszuhalten, mit meiner Unsicherheit, meinen Zweifeln und meiner Verletzlichkeit.


Vielleicht war genau dies der unbewegte Sprung: Ein innerer Schritt, der nicht sichtbar war, aber der mir erlaubte, wahrhaft präsent zu sein. Ich musste nirgendwo anders hin. Ich durfte bleiben, genau hier, in mir selbst. Und vielleicht war es genau diese Präsenz, die den wahren Anfang bedeutete, nicht eine Handlung im Aussen, sondern eine tiefe Akzeptanz dessen, was gerade war. Diesen Anfang kann ich jederzeit, in jeder Situation immer aufs Neue herbeiführen.


Ich blieb noch lange sitzen, während die Sonne höher stieg und das Gras trocken wurde. Der Weg lag offen vor mir, aber ich spürte keinen Druck mehr, weiterzugehen. Ich fühlte mich gehalten, nicht vom Stein, nicht vom Boden allein, sondern von etwas in mir selbst, das endlich sein durfte.


Und ich wusste, wenn ich irgendwann weiterging, dann nicht, weil ich musste, sondern weil ich es spürte, aus innerer Bewegtheit, getragen von einem unbewegten Sprung, der mich innerlich stark und frei machte.

 

 
 
 

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